agileTRIZ für schwierigere Probleme – Lösungskontrolle und -auswahl (Schritt 7)


Nachdem bereits die agilen Vorgehensweisen für einfachere, komplexere und schwierigere Probleme besprochen wurden und bei allen „agilen Vorgehensmethoden“ die Arbeiten mit dem Schritt der Lösungssuche beendet wurde wollen wir diesem Beitrag das methodische Vorgehen der Lösungskontrolle und der Auswahl von Lösungen vorstellen. In der Praxis werden Methoden wie Nutzwertanalyse, Ideenbewertung nach VDI 2225 oder Portfolio-Analyse angewendet.

Grundlage für die Lösungskontrolle und für die Lösungsauswahl ist die anfangs formulierte Problemstellung, das Ideale Endresultat und die Zielsetzung.

Am Beispiel der Dichtsysteme für Radlager soll nun die Lösungskontrolle und -auswahl mit der Methode der Portfolio-Analyse durchgeführt werden.

Problemstellung

Konzipieren eines neuartigen Dichtsystems für Radlager, welches

  • die Dichtwirkung des bestehenden Systems erhält und
  • die Reibung deutlich vermindert.

Ideales Endresultat

Im Operativen Raum und innerhalb der Operativen Zeit beseitigt das X-Element die Reibung (unerwünschter Effekt) im Konfliktpaar (Dichtlippe – Innenring) ohne die Dichtheit (nützliche Wirkung) im Konfliktpaar zu verhindern bzw. zu verschlechtern und ohne das Technische System komplizierter zu machen.

Zielsetzung

Entwickeln von Dichtungskonzepten, die den Leistungsanforderungen gerecht werden können. Da in der Regel in einem Workshop viele Ideen generiert werden wird die Lösungskontrolle und die Auswahl der Lösungen in zwei Schritten durchgeführt; in einer Grobbewertung und in einer detaillierteren Feinbewertung.

Nachstehend sind die zu bewertenden Ideen aufgeführt.

Idee 01: Verlängerte Labyrinthdichtung

Reduzierung des Systems auf eine stark dichtende Lippe, welche direkt am Versteifungsblech befestigt ist. Die Reibung ist durch das Wegfallen der beiden anderen Dichtlippen verringert. Der verlängerte Eingangsspalt erschwert das Eindringen von Schmutz.

Idee 02: Axiale Labyrinthdichtung

Reduzierung des Systems auf die Fettlippe. Die große Labyrinthdichtung übernimmt die Aufgaben der Radial- und Axiallippen.

Idee 03: Abgerundete Labyrinthdichtung

Verstärkung der Wirkung der Fliehkräfte durch die abgerundete Führung.
Verlängerung des Eingangsspaltes: Verstärkung des Effektes der Labyrinthdichtung

Reduzierung der Dichtstellen → Weniger Reibung

Idee 04: 3-fach Axiallippe

Die Axiallippe kann in mehrere Teilaxiallippen aufgeteilt werden. Zwischen den Axiallippen sind kleine Fetträume eingebaut, welche für die ausreichende Schmierung des Systems sorgen.

Idee 05: Bürstenlabyrinthdichtung

Erweiterung der Labyrinth-Dichtung durch Bürsten und Umkehrung der Dichtwirkung. Die Bürsten verhindern das Eindringen von Schmutzpartikeln. Durchlässigkeit sinkt durch kleiner werdenden Borstenabstand zur Fettlippe (Dichtstelle) hin.

Effekt der Fliehkräfte wird durch die Borsten verstärkt und erleichtert das Austragen der in den Bürsten gefangenen Schmutzpartikel. Dynamisches Anpressen der Bürsten durch die Drehgeschwindigkeit.

Idee 06: Verzahnte Axiallippe

Verzahnung zwischen Axiallippe und Laufringblech Wirkung ähnlich einer Labyrinthdichtung.
Geringere Anpresskraft notwendig.
Geringere Reibung.

Idee 07: Gummierter Dichtsitz

Gummierter Dichtsitz übernimmt die Funktion der Axiallippe.
Platzierung vor dem Eingangsspalt (Labyrinthdichtung).
Anbringung von einer Radiallippe die auf dem optimierten Encoder läuft.

Idee 08: Radiallippe mit Anpresskraftmessung

In die Radiallippe ist eine kreisförmige Metallrosette integriert. Diese wird bestromt und erzeugt ein elektromagnetisches Feld.

Dadurch kann die Anpresskraft entsprechend der jeweiligen Anforderungen gesteuert werden. Die Form erzeugt ein welliges Anpressen und reduziert dadurch zusätzlich die Reibung.

Idee 09: Doppel-Axiallippe

Nach a) ist die Dichtwirkung vorher zu erzielen, durch eine Verlängerung des Labyrinths und durch eine Doppellippe bei der Axialdichtung.
Die Radiallippe entfällt.

Idee 10: Versteifter Filzring

Versteifungsblech mit integriertem Filzring, der Filzring funktioniert als Abstreifer und verhindert den Schmutzeintritt.
Die Radiallippe ist als Doppellippe ausgeführt.

Im Laufringblech ist ein kreisförmiges Piezoelement integriert, so dass der Anpressdruck dynamisiert wird.

Idee 11: Äußere Blechlabyrinthdichtung

Optimierter Eingangsspalt durch Verlängerung des Versteifungsblechs (Labyrinthdichtung)
Entfernen der Axiallippe

Idee 12: 2-stufige Labyrinthdichtung

Axiallippe ist durch eine Labyrinth-Dichtung zu ersetzen.

  • Die Vorbewertung der Ideenkonzepte erfolgt durch eine grobe Einschätzung.
  • Die Feinbewertung erfolgt durch eine Bewertung der vier Kriterien anhand einer 5er Werteskala.

Die Vorbewertung wird zumeist direkt im Workshop durchgeführt. Die Feinbewertung wird nachträglich durchgeführt.

BewertungskriterienBeschreibung der ProdukteBewertungsskala
Kunden-Nutzen– Hat die neue Lösung einen wahrnehmbaren Zusatznutzen?
– Hat der Kunde mit der neuen Lösung Vorteile (z.B. Kosten, Zeit, Funktion, …)?
– Hat die neue Lösung ein funktions- und kundenbezogenes Allein-stellungsmerkmal (USP)?
5=“sehr hoher Kundennutzen“
4=“hoher Kundennutzen“
3=“Referenz derzeitige Lösung“
2=“geringer Kundennutzen
sehr geringer“
1=“Kundennutzen“
Unternehmens-Nutzen– Wie groß ist der penetrierbare Markt?
– Wie groß wird das Marktwachstum eingeschätzt?
– Wie groß wird die Marge eingeschätzt?
– Hat die neue Lösung ein konstruktions-/ Unternehmensbez. USP?
– Entsteht bei der Entwicklung übertragbarer strategischer Nutzen?
5=“sehr hoher Untern.-Nutzen“
4=“hoher Untern.-Nutzen“
3=“Referenz derzeitige Lösung“
2=“geringer Untern.-Nutzen“
1=“sehr geringer Untern.-Nutzen“
Aufwand der Umsetzung (Zeit und Kosten)– Wie groß ist der Produktentwicklungsaufwand (Ressourcen → Zeit, Kosten, Personen, zusätzlicher Invest in Maschinen)?
– Wie hoch ist der Grad der Komplexität der neuen Lösung?
– Mit welchem Aufwand ist die neue Lösung technisch realisierbar?
5=“sehr geringer Aufwand“
4=“geringer Aufwand“
3=“mittlerer Aufwand“
2=“hoher Aufwand“
1=“sehr hoher Aufwand“
Funktionssicherheit / Realisierungswahrscheinlichkeit– Wie hoch ist der Anteil der Inhouse-Fertigung? Kosten der Zulieferkomponenten, neue Lieferanten, … (Qualität)?
– Werden die technischen Anforderungen zuverlässig erfüllt?
– Wie sicher ist die Funktion bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen?
5=“sehr hohe Funktionssicherheit“
4=“hohe Funktionssicherheit“
3=“Referenz derzeitige Lösung“
2=“geringe Funktionssicherheit“
1=“sehr geringe Funktionssicherh.“

Aus den Bewertungen werden Portfolios gebildet. Das Intern- / Extern-Portfolio oder Attraktivitäts-Portfolio zeigt die Kunden- und die Unternehmens-Attraktivität. Die Kunden-Attraktivität wird mit den Bewertungen aus Kundennutzen und Funktionssicherheit gebildet, die Unternehmens-Attraktivität ergibt sich mit den Bewertungen aus Unternehmensnutzen und Aufwand. Aus dem Attraktivitäts-Portfolio kann keine Aussage über das Risiko der jeweiligen Idee gemacht werden.

Das Chancen- / Risiko-Portfolio erhält man indem der Kundennutzen und der Unternehmensnutzen auf der Ordinate als Chance angetragen wird und der Aufwand und die Funktionssicherheit wird auf der Abszisse als Risiko dargestellt.

Nach den Bewertungen erhält man nachstehende Portfolio-Darstellungen. Die dargestellten Portfolios sind als Beispiel zu verstehen. Sie zeigen nicht die tatsächlichen Bewertungen.

Intern- / Extern-Portfolio

Chancen- / Risiko-Portfolio

Die Portfolios zeigen, dass Idee 5 eine hohe Attraktivität – für den Kunden und für das eigene Unternehmen – aufweist und demzufolge sollte diese Idee weiterverfolgt werden. Auch die Idee 3 zeigt eine hohe Attraktivität, weist aber im Chancen- / Risiko-Portfolio ein hohes Risiko auf. Hier ist eine noch detailliertere Betrachtung eventuell in Form einer SWOT-Analyse erforderlich.


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Im nächsten Beitrag wird das Vorgehen agileTRIZ für in die Zukunft gerichtete Aufgabenstellungen vorgestellt.

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Dr. Bruno Scherb

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